Wir fragen Menschen aus dem Bistum Aachen, die mit der Bischöflichen Akademie in Verbindung stehen, wie sie mit der Corona-Krise umgehen. Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Und wie wollen sie diese bewältigen?
Frau Ulrike Gresse ist Gemeindereferentin in der Pfarre St. Vitus, Mönchengladbach und Seelsorgerin an der Grabeskirche St. Elisabeth, Mönchengladbach, mit den Schwerpunkten: Begräbnisdienst, Trauerbegleitung, Ausbildung und Begleitung Ehrenamtlicher. Außerdem ist sie Beauftragte für die Trauerseelsorge in der Region Mönchengladbach und Koordinatorin des Arbeitskreises "Trauerzeit" in der Region.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf Ihre alltägliche Arbeit aus?
Frau Gresse: Wie die meisten pastoralen Bistumsmitarbeitenden versuche ich, da wo es möglich ist, meine Aufgaben im Homeoffice zu erledigen. Dabei fällt mir auf, dass mir insbesondere der direkte Kontakt, die Kommunikation, der Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen und Kollegen fehlt. Dieser Kontakt und Austausch verläuft derzeit hauptsächlich über E-Mail, Telefon oder ab und zu über Videokonferenzen.
Homeoffice bietet natürlich auch keine Lösung, wenn ich auf dem Friedhof oder in der Grabeskirche Menschen beisetze oder beerdige.
Es gibt ein Angebot von festen Sprechzeiten für Pfarrmitglieder oder/und auch für Trauernde, aber die werden nur selten genutzt.
An drei Tagen in der Woche bin ich in jedem Fall in meinem Büro. Ich muss Veranstaltungen canceln oder umplanen, wie die Fortbildung für die Haupt- und Ehrenamtlichen des Arbeitskreises „Trauerzeit“ in der Region Mönchengladbach, die Wallfahrt nach Kevelaer, den Workshop „Seelenbretter gestalten“ und den Ausbildungskurs für Begräbnisleiter.
Ich versuche gleichzeitig unter dem Vorbehalt, wann sich Lockerungen im Umgang miteinander ergeben, neue Veranstaltungen zu planen und zu organisieren. Neu daran ist, dass ich bei der Veranstaltungsplanung mit Hilfe der neuen Bestimmungen, besonderen Wert auf Abstandsregelungen und Hygienestandards legen werde.
Was bedeutet Corona für Trauer, Bestattungen und Begleitungen?
Frau Gresse: Hier merke ich besonders, dass die Corona-Krise einen großen Einfluss auf meine Arbeit hat, weil gleich mehrere Bereiche meiner Arbeitsfelder sowohl als Begräbnisleiterin als auch als Trauerbegleiterin betroffen sind.
Bei Begräbnissen sind Kondolenzgespräche derzeit nur am Telefon möglich. Mir fehlt dabei der Blickkontakt und auch das einfühlsame Herantasten an die jeweilige Familiensituation. Denn es braucht ja schon etwas Vertrauen, wenn mir mein Gegenüber mehr mitteilen möchte, als den Familienstand, den Berufsstand und die Wünsche für die Beisetzung/Beerdigung. Es ist daher eher eine Abfrage von Informationen zum Leben der Verstorbenen als ein richtiges Kondolenzgespräch. Das finde ich schade!
Was bedauern Sie am meisten? Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Frau Gresse: Zum Beispiel ist es aufgrund der Auflagen des Krisenstabs des Bistums und der Auflagen der Städte/Gemeinden nicht immer möglich, verständliche und nachvollziehbare Wünsche der Zugehörigen für die Beisetzung umzusetzen. Das fängt bei der erlaubten Teilnehmer*innenzahl an. Das betrifft aber ebenso Musikwünsche, die nur von einer Organistin umgesetzt werden können, wenn der Gottesdienst in der Trauerhalle stattfindet und nicht im Freien am Grab.
Auch die Dauer des Gottesdienstes ist sehr limitiert. Einen roten Faden zu entwickeln ist mir daher nur begrenzt möglich. Außerdem sind Berührungen, wie das Hände schütteln nicht erlaubt, die Trauernden stehen voneinander getrennt, obwohl in der Trauer spürbare Gemeinschaft guttäte. Für die Gestaltung eines Begräbnisgottesdienstes im Sinne einer Trauerbegleitung wirken die jetzigen Bedingungen für mich und die Kolleginnen und Kollegen erschwerend
Wie waren die ersten Reaktionen von Trauernden auf die Verbote?
Frau Gresse: Wie ich schon sagte, ist das Kondolenzgespräch mit Trauernden über das Telefon komplizierter. Wenn man eine Person über das Handy erreichen muss, dann erwischt man manchmal diejenige oder denjenigen gestresst beim Einkaufen. Da entsteht direkt eine andere Gesprächsatmosphäre. Ich habe daraus gelernt und verabrede mittlerweile Termine, auf die sich die Trauernden vorbereiten können und sich dafür auch Zeit nehmen.
Wie haben Sie selbst reagiert, als Ihnen bewusst wurde, dass die Abstandsregelungen und dann die Kontaktsperre sich vermutlich stark auf die Trauerbewältigung / Gottesdienste / Beisetzungen auswirken werden?
Frau Gresse: Ich war schon zunächst etwas erschrocken, weil ich Respekt vor der Bewältigung dieser Aufgabe hatte. Es mussten zunächst viele Angelegenheiten geklärt und umgesetzt werden, doch während der Organisation hat sich vieles einfacher dargestellt als es zunächst auf mich wirkte. Ich habe gemerkt, dass es auch inspirierend sein kann, für diese besondere Situation kreative Lösungen zu finden und zum Beispiel andere Formen des Gottesdienstes zu entdecken. Ich habe bei meinen Gottesdiensten noch einmal einige gewohnte Abläufe kritisch hinterfragt, unter anderem, weil ich die Feiern ja nun auf das Wesentlichste reduzieren muss. Ich habe mich gefragt: Was muss denn nun wirklich konzentriert in den Gottesdienst? Was ist für die Trauernden unter Einhaltung der Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen noch möglich? Mir ist nach wie vor besonders wichtig, Wertschätzung gegenüber den Verstorbenen und Trauernden zu zeigen. Die Rückmeldungen zeigen, dass die Trauernden dieses Anliegen wahrnehmen und umgekehrt mir gegenüber ebenfalls wertschätzen.
Wie verhält es sich mit der Trauerbegleitung während Corona?
Frau Gresse: Zurzeit entfallen viele Angebote von Gruppenbegleitungen über Trauercafés bis hin zu Trauerspaziergängen. Gedenkgottesdienste können außerdem nicht in der Grabeskirche gefeiert werden.
Was wir aufrecht zu halten versuchen sind Einzelbegleitungen. Diese sind telefonisch und per Mail möglich, aber sie werden nur zu einem geringen Teil genutzt. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer lassen ihre Termine zurzeit ruhen. Ich vermute, dass sie Sie neben der Trauer auch noch andere Themen bewältigen müssen. Ich denke da an die Sorge um den Arbeitsplatz, die eigene Gesundheit...Einige werden sicherlich auch zu wenig Erfahrung mit den digitalen Möglichkeiten haben.
Auch im Bereich der Ausbildung und Begleitung Ehrenamtlicher fallen alle regelmäßigen Projekttreffen und Fortbildungen aus. Der Austausch, die Beratung und die Absprachen mit haupt- und ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen, beispielsweise hinsichtlich neuer Vorgaben der Stadt zur Nutzung von Trauerhallen, laufen über Telefon und E-Mail. Der Bedarf und die Nachfrage nach einem entsprechenden Austausch sind spürbar gestiegen.
Inwiefern wird es die Zukunft Ihrer Arbeit (-sweise) beeinflussen?
Frau Gresse: Möglicherweise werden sich die Themen der Trauerbegleitung verändern oder zumindest ergänzen mit der Reflexion über die Zeit zwischen Tod und Bestattung. Angehörige waren und sind beim Sterben im Krankenhaus oder im Altenheim oder auf der Intensivstation ja nur sehr begrenzt zugelassen. Das wird das Abschiednehmen, das „Begreifen“ des Todes zum Teil unmöglich machen/gemacht haben. Da werden wir eventuell neue Rituale überlegen müssen, die Trauernden bei der nachträglichen Bewältigung unterstützen.
Wir werden auch eine Reihe nachträglicher Gedenkgottesdienste feiern, für die, die nur im kleinen Kreis die Beerdigung erlebt haben. Auch für diese Art Gedenkgottesdienst gibt es zurzeit noch keine Erfahrung, keine Rituale. Wichtig ist jedoch, ähnlich wie bei Jahresgedächtnissen, das Leben der oder des Verstorbenen angemessen zu würdigen und die Trauernden positiv zu bestärken.
Ich höre, dass Sie Ihren Beruf mit Leidenschaft ausführen. Was fehlt Ihnen in dieser Zeit am meisten?
Frau Gresse: Am meisten fehlt mir die Nähe und der Blickkontakt während ich mit anderen Personen, insbesondere mit Trauernden, kommuniziere. Mir fehlen die sichtbaren Reaktionen, die fragenden Blicke und die vertraulichen Gespräche, also der ganz persönliche Kontakt. All das macht ja einen großen Teil meiner Persönlichkeit, meines Charisma und meines Auftrag aus.
Für mich noch bedeutsamer als zuvor ist das Netzwerk geworden, in dem ich meine Arbeit jetzt weiterentwickeln kann. Zum einen meine ich dabei die respektvolle Zusammenarbeit mit den Bestattern, die nach wie vor den ersten Kontakt zu den Trauernden haben und die angepassten Verhaltensregeln schon erklären. Zum anderen beziehe ich mich auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die wie ich kreativ mit den Einschränkungen umgehen. Eine Kollegin hat zum Beispiel eine Andacht entwickelt für Zugehörige, die nicht am Trauergottesdienst teilnehmen können. Mit dieser Anleitung können sie sich auch aus der Ferne im Gebet mit der Trauergemeinde vor Ort verbunden fühlen.
Außerdem denke ich an die gemeinsame Sorge um Trauernde im Arbeitskreis „Trauerzeit“ in der Region Mönchengladbach: wir behalten unsere Trauernden im Blick und entwickeln neue Formate.
Möglicherweise werde ich auch noch mehr als bisher Gefallen am PC-Arbeiten gewinnen oder mich fragen: Welche Konferenz ist notwendig? Wie können wir ohne Treffen Absprachen treffen? … Organisatorisch kann ich mir da Veränderungen vorstellen.
Sehen Sie auch eine Chance in der Krise?
Frau Gresse: Ich persönlich mag Veränderungen. Ich mag das Hinterfragen von bestehenden Konzepten, Ansichten, … und das Weiterentwickeln von Ideen. Das alles ist jetzt gefragt und gewünscht!
Zum Beispiel habe ich bei den veränderten Trauergottesdiensten am Grab (ohne Trauerhalle, ohne ausführliches Kondolenzgespräch, mit wenigen Menschen…) auch gespürt, dass dabei trotz aller gebotenen Distanz eine neue Nähe entstand: Zugehörige erzählten am Grab zum Teil sehr persönlich anstelle einer Ansprache von ihren Erinnerungen.
Gleichzeitig musste ich meine „Leitungsaufgabe“, meine Über-Sicht über die Feier zu einem Teil aufgeben, beziehungsweise neu definieren. Das empfinde ich als wohltuende Herausforderung, die sicher zukünftig auch für die Ausbildung neuer Begräbnisleiterinnen und Begräbnisleiter bedeutsam bleibt und in der Konzeption der Kurse eine Rolle spielen wird.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen und Ihnen weiterhin alles Gute.
Zur Info: Am 23. Oktober 2019 fand die Fachtagung zum 10jährigen Bestehen der Grabeskriche St. Elisabeth in Zusammenarbet mit der Bischöflichen Akademie statt.
Das Interview führte Frau Dr. Laura Büttgen, Dozentin im Bereich Kultur und Gesellschaft der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen.