Mit Corona sieht man besser

Was wir aus der Krise lernen können

(c) Christiane Bongartz
Datum:
Mo. 6. Apr. 2020
Von:
Christiane Bongartz

Liebe Gäste, liebe Freundinnen und Freunde der Bischöflichen Akademie, 

wie geht es Ihnen? Diese Frage ist derzeit die einzig wichtige. Ich hoffe sehr und wünsche Ihnen allen, egal ob Sie alleine leben oder mit anderen zusammen und ganz besonders, wenn Sie zu den sogenannten „Risikogruppen“ (ein ganz eigenartiges Wort) gehören, dass Sie gut durch diese Zeit kommen. 

Während ich diese Zeilen an Sie schreibe, bin ich ganz alleine. Die Akademie ist leer, alle Zimmer sind frei, Räume unbenutzt, die Tore zu, niemand ist in Küche, Rezeption, Garten, Keller, Büros.

Aber wer vor allem fehlt, sind Sie. Wir brauchen Sie. Das wussten wir natürlich schon, aber es wird überdeutlich in diesen Tagen. Und wir brauchen einander. Wir haben glücklicherweise die Möglichkeit, dass die meisten MitarbeiterInnen weitgehend zuhause bleiben können. Es wird weitergearbeitet, soweit das möglich ist. Auch hier wird deutlich: Unsere Arbeit ist auf Sie, Euch, unsere Gäste und ReferentInnen, ausgerichtet, und Sie fehlen. Uns fehlt: der Kontakt, miteinander treffen, sich begegnen, in unseren Räumen, mit dem hier ganz eigenen Licht, mit der besonderen Lage in Aachen, dem wilden Garten, dem blühenden Magnolienbaum am Pavillon….

Eine Musikwissenschaftlerin beschrieb kürzlich, dass wir Musik eben nicht nur mit den Ohren hören, sondern mit der ganzen Körperoberfläche wahrnehmen, und dass das am besten bei einem Livekonzert gelingt. Dieses ist auch deshalb so viel intensiver, als Musik über ein Gerät zu hören. Und intensiver ist das Erlebnis auch noch aus anderen Gründen: Man kann hinsehen, wohin man will, man wird nicht durch eine Kamera gelenkt. Man begegnet den Aufführenden live und kann interagieren. Man hat ein Gruppenerlebnis mit den anderen ZuhörerInnen, man wird eventuell überrascht, man ist unmittelbar dabei. „Ein Livekonzert ist ein multisensorisches Erlebnis“ sagt sie.
Das hat mich an unsere Veranstaltungen denken lassen. Natürlich kann man Webinare veranstalten, man kann Vorträge streamen und Videokonferenzen machen. Aber es fehlen die wesentlichen Dinge: die Interaktion, das gemeinsam an einem Ort sein, die Unmittelbarkeit, die Überraschung. Und vielleicht kann man ja sogar sagen, dass man andere Menschen, ihre Stimmen und Stimmungen und Haltungen, auch multisensorisch viel besser wahrnehmen kann. Für unser Bildungsverständnis ist das zentral: dass wir diese „analoge“ Begegnung allem anderen zu Grunde legen.

Wir haben viele unserer Veranstaltungen nicht einfach abgesagt, sondern nur verschoben. Wir planen darüber hinaus einige neue Formate. Die derzeitige Krise beobachten wir ausführlich, schauen genau hin, damit wir bald wieder unsere und Ihre Eindrücke und Erfahrungen gemeinsam mit Fachleuten gegenlesen und deuten können. Es gibt derzeit viel, was sich ändert. Viele Fragen tauchen auf, angefangen bei Änderungen von Gesetzen, Einschränkungen, Reduzierungen des Lebens, ethischen Problemen bis hin zum großen Thema „Europa“, wirtschaftlichem Ausgleich und Solidarität. All dies zu thematisieren, ist unsere Aufgabe, an der wir dran bleiben – für Sie und mit Ihnen.

Im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bischöflichen Akademie
wünsche ich Ihnen herzlich frohe Ostern!

Wir freuen uns auf ein hoffentlich baldiges gesundes Wiedersehen.

Freundliche Grüße, 
Dr. Christiane Bongartz