weder unsere Akademie noch die Menschen, die hier arbeiten oder sie besuchen, würde ich in der Mehrheit als „exzentrisch“ bezeichnen.
Und doch sind wir das, und zwar alle. Wie kann das sein?
„Ich habe schon vor Jahren den Begriff der exzentrischen Identität vorgeschlagen, um zu zeigen, dass die sogenannte Identität Europas außereuropäische Wurzeln hat“, so der katholische Philosoph Rémi Brague vor einigen Jahren in einer Radiosendung im alpha-Forum Wissenschaft, „die jüdisch-christliche Religion ist außereuropäischer Herkunft.“
Den Gedanken nahm der frühere Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff beim ersten NRW-Israel-Forum im Juli 2011 auf und entwickelte ihn weiter: „Diese ‚exzentrische Identität‘ des Christen und der Kirche hat der Apostel Paulus in das bekannte Bild vom Ölbaum gefasst, in den die Heidenchristen wie Zweige eingepfropft werden“, so Mussinghoff in seinem Beitrag „Herausforderung Zukunft“. Paulus spricht davon in seinem Brief an die Gemeinde in Rom (Röm 11,17).
Der Ölbaum verweist ebenso wie die vier Heiligtümer in Aachen auf Israel. Die Tuche, die verehrt werden als Windeln Jesu, als Kleid Mariens, das Enthauptungstuch Johannes des Täufers, als der Lendenschurz Jesu, soll Karl der Große als Geschenke aus dem heiligen Land erhalten haben.
Dort in Israel liegen die Wurzeln des jüdisch-christlichen Glaubens. Das Schloss, mit dem die Heiligtümer nach der Heiligtumsfahrt 2023 wieder verschlossen werden, stärkt das Bewusstsein für die „exzentrische Identität“ Europas und des Christentums: Auf Bischof Heinrich Mussinghoff geht der Entwurf zurück, er hat das Schloss gestiftet. Auf der einen Seite zeigt das Schloss ein einfaches, erdfarbenes Ritzkreuz mit einem Bogen darüber. Der Altbischof entdeckte dieses Kreuz in einen Felsen dort eingeritzt, wo sich zwischen dem Sinai in Ägypten und der israelischen Hauptstadt Jerusalem mehrere Pilgerwege treffen. Die Vorderseite des Schlosses nimmt dieses Motiv wieder auf und zeigt einen bunten Regenbogen über dem Kreuz, darauf eine Taube mit einem Ölzweig im Schnabel. Der Bund Gottes mit den Menschen, mit dem jüdischen Volk, sein Bund, den er durch das Kreuz mit denjenigen geschlossen hat, die an Christus glauben: Dass Gott dreimal einen Bund mit den Menschen eingegangen ist, vereint die Darstellung auf dem Schloss, das am 19. Juni den Marienschrein verschließt.
Das Schloss wurde bereits 2021 angefertigt. Da hätte die Heiligtumsfahrt im Regelturnus sieben Jahre nach der vorigen stattfinden sollen und wurde coronabedingt verschoben. Den Regenbogen deutete Heinrich Mussinghoff als Hinweis darauf, dass wir alle Gottes Schöpfung sind, „vielfarbig und vielfältig. Wir sollten darin den Hinweis Gottes auf unsere gegenseitige Verwiesenheit sehen, auf unser Mit- und Füreinander in Fürsorge und Friedenspflicht“.
Manchmal pfropft man Pflanzenteile aus dem Grund aufeinander, dass der neue Zweig von der Wurzel und den Wirkstoffen des Wurzelstocks mitversorgt werden kann. Damit lebendig bleibt, dass das Christliche Anteil hat „an der Wurzel und dem Saft des Ölbaums“, wie Paulus schreibt, bieten wir in der Akademie unter anderem das jüdisch-christliche Bibellesen an.
Dann pfropft man Pflanzenteile aufeinander, um eine neue Art zu züchten. Zum jüngeren kulturellen Genre, dem wir uns widmen, gehören Serien, die man auf Fernsehsendern oder auf bestimmten Plattformen im Internet ansehen kann. Im Serienzirkel „Binge“ wird zum Beispiel die Netflix-Serie „Shadow and Bone“ besprochen, die auch mit der Darstellung jüdischer Traditionsformen spielt und aus ihnen eine neue Filmwelt schafft.
Ein anderes Mal pfropft man Pflanzenteile aufeinander, damit eine stabilere Art entsteht, resilient gegen schädliche Einflüsse von außen. Natürlich bekommt der Ölzweig im Schnabel der Taube einen hochaktuellen Bezug. Als Friedenszeichen gibt er Hoffnung, auch für Europa, das durch einen Krieg auf eigenem Boden wieder neu destabilisiert wird. Wie resilient ist die Pflanze Europa? Wie eng sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich als ihrem partnerschaftlichen Kernland?
Nicht zuletzt wird die Methode des Pfropfens in der Pflanzenzüchtung verwendet, um bestehende Arten zu veredeln. Den Ölzweig im Schnabel der Taube auf dem Schloss, das die Heiligtümer sichern wird, veredeln fünf Smaragde. Die strahlend grünen Steine sind eine Stiftung aus Kolumbien und bezeichnen die Partnerschaft des lateinamerikanischen Landes mit dem Bistum Aachen. Die Ausstellung mit Werken des kolumbianischen Künstlers Freddy Sánchez Caballero ist vom 10. Juni bis 31. August 2023 bei uns zu sehen, jeweils zwischen 8.00 Uhr 16.00 Uhr, am Wochenende auf Anfrage.
Entdecken Sie sich, entdecken Sie den Glauben, entdecken Sie vielleicht etwas Exzentrisches, entdecken Sie auch immer wieder gern unser Akademieprogramm.
Im Namen des Teams der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen
Dr. Angela Reinders, Direktorin
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